MLP2401 Double LP € 35.00 postage Europe: € 10.00, rest of the world: € 15.00 buy CD
Essay (1975) Luca Lombardi Ausdrücke – Rondo for a Clown (1978) Hubert Stuppner Theraps (1976) Iannis Xenakis Memo I (1971) Bernard Rands Voicings (1977) John Anthony Celona Anaklasis (2002) Barry Guy
The bass music you will hear on this album is, it might be said, a child of the seventies. A ferociously radical time in the development of the double bass as a solo instrument found composers eager to formulate soundscapes that would send our Bottesinis and Dragonettis running for the exit !
As an emerging bassist in these heady times, immersed deeply into the art of improvisation where almost on a daily basis colleagues pushed the boundaries of instrumental possibilities, I found myself additionally being drawn into the world of composed music, researching novel sonorities and extended techniques. Somehow the two disciplines (in those days they were mutually suspicious of each other) seemed to coalesce around a large wooden box with strings attached. The double bass was everything you wanted it to be !
In my studio, various archive recordings from the seventies of dubious sound quality have silently collected dust (and years) in various boxes, and a recent tidying of these surviving articles prompted a little retrospective listening. This revealed a rather exciting slice of double bass history which I thought might be of interest, but a genius was needed to bring these various recordings into a sound frame that would make sense. Ferran Conangla (Barcelona) is the genius that brought all this together - a sound engineer who I have recorded with many times, and a man who knows how to deliver a vibrant sound picture of the double bass.
Barry Guy
REVIEWS
By Richard Butz
Barry Guy Plays Barry Guy (b), Stefano Scodanibbio (b) (Doppel-LP – Maya Recordings) * * * * * In den 1970er Jahren begann der 1947 geborene britische Bassist Barry Guy auf der Jazzszene aktiv zu werden und entwickelte sich in der Folge zu einem der führenden Musiker, Komponisten und Bandleader der improvisierten Musik. Bisher kaum bekannt war, dass er sich parallel dazu mit komponierter Musik aus der neuen E-Musik auseinandersetzte und zahlreiche Aufnahmen von für Bass geschriebene Kompositionen machte. Diese lagerten lange in seinem Archiv und setzten dort Staub an. Mit Hilfe des spanischen Soundingenieurs Ferran Conangla «entstaubte» er für diese Produktion Kompositionen von Luc Lombardi, Hubert Stuppner, Iannis Xenakis, Bernard Rands und John Anthony Celona, alle von ihm solo einfühlsam interpretiert. Als Zugabe enthält die Doppel-LP, wobei eine Seite leer bleibt, seine eigene Komposition «Anaklasis», im Duo eingespielt mit dem 2012 in Mexiko gestorbenen genialen italienischen Bassisten Stefano Scodanibbio. In den Liner notes dieser schön gestalteten Produktion beschreibt Barry Guy jede Komposition und fügt jeweils einen Kommentar bei, was das Zuhören dieser ausserordentlichen musikalischen Bass-Reise erleichtert.
By Hans-Jürgen Linke
Frankfurter Rundschau 21. February 2025
Hellwache Grenzgänge „Plays“, Barry Guys musikalisch tief beunruhigendes Solo-Album.
Eine tiefe Beunruhigung ist von Anfang an präsent in dieser Musik. Zwar lautet der Titel des ersten Stückes „Essay“ und könnte also auf einen reflektierenden Gestus verweisen, aber die Reflexion hat einen Motor, der ihr eine Ruhelosigkeit gibt und ein weiträumiges Umherschweifen der musikalischen Gedanken antreibt, das nirgends so recht zur Ruhe kommen will.
Immerhin können wir einen Ausgangspunkt, zu dem der Essay mehrfach zurückkehrt, ausmachen: Es ist das Lied von der Thälmann-Kolonne („Spaniens Himmel breitet seine Sterne / Über uns’ren Schützengräben aus“) aus dem so genannten Spanischen Bürgerkrieg, der in Wahrheit ein Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg war. Der Komponist und Kontrabassist Barry Guy hat vor etlichen Jahren – in seinem orchestralen Werk „The Blue Shroud“ – musikalisch über Picassos Triptychon „Guernica“ nachgedacht, das in Reaktion auf die Bombardierung der baskischen Stadt durch die deutsche Legion Condor entstand. Jetzt also der „Essay“, ein Stück für Kontrabass solo und Stimme, ein Stück umherschweifender, klangreicher Ratlosigkeit. Es ist Musik, die keine Ruhe findet, die an Grenzen rüttelt, die zornig und gequält schreit, die fast panisch Neues ausprobiert und keinen geraden Weg weisen kann. Immer weiter, aber nirgendwo hin. Wohin denn auch!
Das Album enthält sechs Stücke aus den bewegten 1970er Jahren, die allesamt von Komponisten Neuer Musik stammen und ihr Feld in den musikalischen Weiten zwischen verschiedenen Genres – improvisierte Musik, zeitgenössische komponierte Musik – finden. Barry Guy hat sie im Laufe der Jahre in seinem persönlichen Archiv gesammelt. Jetzt ergab sich vielleicht weniger eine Gelegenheit als vielmehr fast eine Nötigung, diese Grenzen verletzende und verschiebende Musik gesammelt zu veröffentlichen. Die Zeiten sind wieder tief beunruhigend geworden.
Barry Guy gehört zu den seltenen Musikern, die sich keinem Marktsegment zuordnen lassen. Er hat mit Christopher Hogwoods Academy of Ancient Music und dem London Bach Orchestra ebenso gearbeitet wie mit der London Sinfonietta; er gehörte zu den Mitgründern des London Jazz Composer’s Orchestra und ist seit Jahrzehnten ein Exponent der britischen Free-Jazz-Szene, spielt mit seiner Partnerin, der Barock-Geigerin Maya Homburger, alte Musik und arbeitet in kleinen improvisierenden Ensembles und größeren Formationen von höchst individueller Besetzung und gehört zu den verlässlichen, gern gehörten Interpreten der zeitgenössischen Avantgarde. Und jetzt eben solo.
Scharf konzipiert
Es handelt sich nicht um ein Kontrabass-Schönklang-Album, sondern um hellwache, tief und heftig bewegte Grenzgänge, um klanglich überraschende und formal schneidend scharf konzipierte Arbeiten, die mit vielen unbekannten und nicht unbedingt schon immer für möglich gehaltenen Kontrabass-Klängen arbeiten. Nichts ist dabei elektronisch verfremdet. Und wenn er mit seinem Bass nicht dorthin kommt, wo er hin muss, hilft die Stimme weiter, weil es nun mal weiter gehen muss als nur über bekanntes Gelände.
Nur in einem Stück hat er sich Hilfe geholt. Die Aufnahme muss schon etwas älter sein, denn Stefano Scodanibbio ist dort als Mitspieler verzeichnet, und der ist 2012 gestorben. Scodanibbio ist für die Welt des Kontrabasses im 21. Jahrhundert wahrscheinlich der wichtigste aller Giganten am Horizont, ein vorbildlos revolutionärer Erweiterer der Spieltechniken, Klangfarben und Einsatzmöglichkeiten dieses möbelartigen Instruments. So wird „Anaklasis“ zugleich das Requiem zweier Kontrabassisten für einen von ihnen.
By Rigobert Dittmann
Maya führt mit BARRY GUY — Plays (MLP 2401, 2xLP, Side D with etching) zurück in die 70er und zeigt den extraordinären Kontrabassisten bei der Performanz von komponierten Ohrenschrauben: 'Essay' (1975) von Luca Lombardi (*1945, Rom); 'Ausdrücke - Rondo für einen Clown' (1978) von Hubert Stuppner (*1944, Truden); 'Theraps' (1976) von Iannis Xenakis, der sich das extrem, wild, grotesk und schön wünschte; 'Memo I' (1971), von Bernard Rands (*1935, Sheffield) für Guy geschrieben; und 'Voicings' (1977) von John A. Celona (*1947, San Francisco). Dem schließt er das eigene 'Anaklasis' (2002) an, im Duo mit Stefano Scodanibbio, einem Bruder im Wagemut und in der Grenzüberschreitung. Guys Darbietungen oder meinetwegen Interpretationen stupent zu nennen, wäre lachhaft untertrieben. Den Fachjargon für das, was er mit Bogen und Saiten anstellt - quadruple-stop chords, double-stop glissandi... - , überlasse ich den Nerds. Die Komponisten und ihre Fliegenschisse zehren von der Fähigkeit von Guy (und den wenigen Seinesgleichen), sie so lustvoll zu verlebendigen wie man's hier hört. Als in Klang verwandelte Hirngespinste durch seine Verwandlung in einen deklamierenden Kastraten an der Abbruchkante zur Kakophonie, einen unbändigen Irrwisch und Spaltklangkobold. Zugleich mit glissandierenden Blutgrätschen und als Hellboy, der ein Kätzchen streichelt. Ist 'Memo', Rands' Einstieg in eine Soloreihe ähnlich Berios 'Sequenzen', ein gestammeltes Memento oder die Demo von maximalem Pizzicato plus Einsatz einer Schlabbergosch? Auch 'Voicings' verlangt zischendes, pfeifendes Mundwerk zum klappernden, surrenden, schwirrenden Bogentanz, aber auch feinstes ppp. 'Anaklasis' meint zuletzt ein Zurückbiegen, etwa die Wiederholung der Phrase eines Dialogpartners mit modifizierter Betonung, und expliziert das als Pollocking in der Häufelung von virtuosem Wetzen, Krabbeln, Klopfen. [BA 127 rbd]